„Viele Leute sind es müde, in der Agenturmühle zu arbeiten“

Moritz Dunkel ,Freelance Grafikdesigner, im Interview mit Robert Mände, Leiter der Personalberatung Designerdock in Hamburg.

Als Leiter von Designerdock Hamburg haben Sie einen guten Überblick über die Entwicklungen in der Design- und Kommunikationsbranche. Wie ist der Freelance Markt von heute entstanden?
Bei der letzten konjunkturellen Talfahrt haben die Agenturen zahlreiche Mitarbeiter entlassen. So sind relativ viele Freelance Kreative unfreiwillig in diese Situation gekommen. Die Politik hat damals die Selbstständigkeit extrem gefördert, unter anderem mit dem Gründungszuschuss. Nach der konjunkturellen Wende ging es dann der Branche wieder besser und die Freelance Designer wurden von den Agenturen gut gebucht. Denen steckt noch die Angst in den Knochen, zu viele Leute auf der Gehaltsliste stehen zu haben, die im Notfall entlassen werden müssen. Zur gleichen Zeit hat das Projektgeschäft deutlich zugenommen, und Agenturen können nicht mehr so langfristig planen wie früher, sondern müssen flexibel Manpower einplanen. Das trägt zum vermehrten Einsatz von Freelancern bei. Inzwischen stellen viele Agenturen fest, dass sie für das Geld auch feste Mitarbeiter einstellen könnten. Das Problem ist allerdings: Jetzt will keiner mehr.

 

Warum nicht?

Viele Leute sind es müde, in der Agenturmühle zu arbeiten. Zu viel Politik, Druck, interne Stimmungsschwankungen, immer das gleiche Geld für relativ lange Arbeitszeiten. Das ändert sich deutlich, wenn man als Freelancer gebucht wird. Für jeden Tag, den ich arbeite, bekomme ich Geld. Überstunden und Wochenendarbeit werden entsprechend entlohnt. Das ist bei Festangestellten nur selten der Fall. Freelancer kommen außerdem viel herum, sehen viele Agenturen, Projekte und Kunden. Selbst wenn sie durchgehend beschäftigt sind, haben sie meistens ein größeres Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit. Zusätzlich ist der Verdienst auf den ersten Blick nicht schlecht.

 

Wie reagieren Agenturen auf die veränderte Situation?

Es gibt erste Ansätze. So positionieren sich gerade viele Agenturen als Arbeitgebermarke neu – allerdings ist oft fraglich, ob das in der Praxis tatsächlich so umgesetzt wird. Viele Entscheider wurden auf einem Arbeitsmarkt sozialisiert, der ganz anders funktioniert hat als heute: Die Branche war sexy, die Agenturen konnten es sich aussuchen, wen sie als Mitarbeiter haben wollten. Die Leute waren gewillt, für wenig Geld viel zu arbeiten. Das ist aber vorbei. Dennoch verfahren Agenturen beim Recruiting immer noch nach dem Motto: Wenn der Teich leer ist, schmeißen wir eben mehr Angeln rein. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Teich leer ist. Die Agenturen müssen solche Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich die Leute wohlfühlen, in denen sie loyal sind und dazu
motiviert arbeiten.

 

Freelancing hat aber auch Nachteile.

Ja, etwa die Buchhaltung. Ein Freelancer muss einganz anderes Finanzmanagement betreiben als ein Angestellter. Es gibt weder Urlaubs- noch Krankengeld, auch Altersvorsorge und Krankenkasse muss er privat regeln. Als Freier muss man viel verantwortungsvoller und unternehmerischer mit seinem Budget umgehen. Auch Selbstvermarktung und Kundenakquise sind für viele ein Problem. Das wird einem als Festangestellter abgenommen. Freelancing ist kein guter Weg, um Karriere zu machen. Man wird für das gebucht, was man kann. Und das macht man dann eben. Auftraggeber investieren nicht in einen wie es Arbeitgeber tun. Man kann sich privat weiterbilden. Das geht natürlich. Aber das muss budgetiert werden, und zwar nicht nur die Teilnahmegebühr, sondern auch der Arbeitsausfall in der Zeit. Ein Beispiel für dieses Dilemma ist die Umstellung von XPress auf lnDesign. Agenturmitarbeiter wurden in Workshops darauf
vorbereitet – von Freien wurde einfach erwartet, dass sie es können. Die mussten selbst für die Weiterbildung aufkommen.

 

Wie groß ist das Problem der Scheinselbstständigkeit?

Vor vier bis fünf Jahren, als das Freelancing sich verbreitete, war das ein großes Thema. Wenn die Sozialversicherungsträger feststellen, dass im Grunde gearbeitet wird wie in einem Angestelltenverhältnis, kann das für beide Seiten teuer werden. Hier ist das Problembewusstsein allerdings relativ gering – wohl auch, weil es kaum verfolgt wird. Der Anspruch, mehr als einen Kunden zu haben, entspricht oft nicht der Realität der Auftragsverhältnisse. Manche Freelancer sind nur zweimal im Jahr gebucht – von einem Unternehmen für je sechs Monate. Arbeitet man frei, sollte man sich auf jeden Fall mit dieser Problematik beschäftigen – zumindest, um zu wissen, welches Risiko man eingeht.

 

Laut AGD sind Kooperationen zwischen Freien ein neuer Trend. Beobachten Sie das auch?

Eigentlich nicht. Die meisten Anfragen bei uns richten sich an Freelancer, die als einzelne Kreative in Agenturen und an Projekten arbeiten, also nicht selbstständig als Kooperative auftreten. Ich erlebe nur selten lose Netzwerke, die wirklich funktionieren. ln der Kunde-Agentur-Beziehung zählen Stabilität, Verlässlichkeit, Kontinuität, Verfügbarkeit und Manpower. Wenn sich Freelance Kooperativen etablieren, nehmen sie sehr schnell agenturähnliche Strukturen an. Dann haben sie plötzlich eine Telefonzentrale, einen Empfang, Controlling und Projektmanagement. Ich sehe Freelancer eher als Ergänzung für Agenturen denn als deren Ersatz.

 

Was ist mit dem Thema Familiengründung? Ist die Familie mit einer Karriere in der Kreativbranche überhaupt vereinbar?

Von dem Moment an, wo die persönlichen Verpflichtungen größer werden, braucht man mehr Sicherheit. Das wirft die grundsätzliche Frage auf, ob die Kreativbranche ein Bereich ist, in dem ich die zweite Hälfte meines Berufslebens gut verbringen kann. Die Branche ist noch immer sehr karriereorientiert. Ab einem gewissen Alter ist man im mittleren Management nicht mehr zufrieden. Entweder will man dann eine Führungsposition erreichen oder sucht nach Alternativen. Bei Eltern ist es oft so, dass die Väter sich für die Karriere entscheiden, also für eine Festanstellung in einer Agentur, und die Mütter für eine Halbzeitstelle oder die Selbstständigkeit. ln Agenturen gibt es leider kaum gute Teilzeitjobs. Aber auch Teilzeit-Freelancing ist schwierig – die Kunden erwarten meistens einen Vollzeiteinsatz. Aber als Freelancer kann man seine Zeit freier einteilen. Manche schaffen das. Mit einem guten Betreuungsnetz ist das möglichaber es ist schon eine große Herausforderung.

 

Was empfehlen Sie Studenten direkt nach dem Abschluss?

Mein Tipp ist, erst mal in eine Festanstellung zu gehen. Diese Branche muss man kennen lernen: die Mechanismen, Aufgaben, Kunden, Projekte, kreativen Herausforderungen. Wenn man nach drei bis fünf Jahren mit all dem vertraut ist und die nötigen Kompetenzen erworben hat, sind die Voraussetzungen für die Selbstständigkeit wesentlich besser.